Ground Zero

 

Die antinationale Linke nach den Anschlägen

 

Von gruppe demontage, 14.10.2001

 

Von Zeit zu Zeit gibt es für Linke gravierende Umbrüche: Im deutschen Herbst 1977 erkannte die Mehrheit der hiesigen Linken das staatliche Gewaltmonopol an. Nach 1989 erfolgte die gesamtgesellschaftliche Marginalisierung der Linken. Vielleicht ist es heute für die gegenwärtige Linke so weit? In der derzeitigen Debatte um die Anschläge in den USA wird ein qualitativer, wenn auch nicht gänzlich überraschender Umbruch innerhalb der Linken in der BRD deutlich. Bereits im 2. Golfkrieg bezogen sich beispielsweise einige Konkret-Autoren positiv auf die Angriffe der USA, weil sie in der deutschen Friedensbewegung die Speerspitze für eine eigenständigere imperialistische Politik der BRD sahen und militärische Aktionen zum Schutz des Staates Israel für notwendig erachteten. In den folgenden Jugoslawien-Kriegen forderten grüne Ex-Linke, Menschenrechtsgruppen und Teile des feministischen Spektrums eine militärische Intervention.

Gegenwärtig werden nun, ohne ein historisch-kritisches oder gar kommunistisches Imperialismusverständnis, die Attentäter der Anschläge in den USA von mehreren Jungle World AutorInnen mit Faschisten gleichgesetzt (Blömeke und Landgraf; wie alle folgenden Äußerungen aus Jungle vom 26.9.) oder gilt ihnen der Islam im Gegensatz zur westliche Wertegemeinschaft als antiemanzipatorisch und dieUSA als Bastion der Aufklärung und Zivilität (Blömeke, Schulz, Landgraf und Runge). Es wird auch dazu aufgerufen, das liberal-kapitalistische System nötigenfalls mit Gewalt zu verteidigen (Landgraf) oder sich politischer Reaktionen zu enthalten (Schmidt). Ganz ähnlich sind die Positionen der herkömmlichen Friedensbewegung aus dem Umfeld von Grünen oder PDS. Diese beschwört die Solidarität mit der Bevölkerung der USA, will die Verantwortlichen vor Gericht stellen und leistet mit ihrer Politik letztendlich der Aufrechterhaltung der imperialistischen Verhältnisse Vorschub. Auch wenn sich antinationale Linke aus dem Umfeld der Jungle World der gegenwärtigen Situation von einem anderen Punkt nähern, steuern sie de facto ebenfalls auf eine Akzeptanz imperialistischer Politik zu. Daß jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, an dem radikalen Linken nur noch bleibe, sich auf die Seite einer imperialistischen Macht zu stellen, bleibt im wesentlichen unbegründet.

Wenn die Anschläge in den USA aus dem Umfeld ehemaliger Afghanistankämpfer begangen wurden, so hätte dies einiges mit imperialistischer Politik zu tun: Nachdem in arabischen Ländern im Zuge der Auflösung fordistischer Regulationsformen staatssozialistische Ansätze aufgegeben wurden und die Austeritätspolitik des IWF zuschlug, errangen islamistische Politikansätze ein erhebliches Gewicht. Gegenüber den ausgebeuteten Massen und dem neo-kolonialen Regime verkauft sich der Islamismus vielfach erfolgreich als wohlfahrtsstaatliche Rekonstruktion, während er an der Macht eine authentische kulturalistische und autoritäre Hegemonie zeigt. In diesem Zusammenhang wurde die Vorläuferorganisation der Al-Qaida von Ussama bin Laden in den achtziger Jahren von den USA mit aufgebaut, um die sowjetische Intervention in Afghanistan zu bekämpfen. Nach dem Einmarsch der USA im Irak mit dem Ziel, den Rohölmarkt unter Kontrolle zu halten, scheint es zum Bruch mit der Al-Qaida gekommen zu sein (ausführlich wird die jüngere Politik der USA in Zentralasien von Trampert in Jungle vom 10.10 dargestellt).

Diese Entwicklung rechtfertigt keine Angriffe auf ZivilistInnen, sie zeigt jedoch den Kontext auf, in dem der Islamismus eine eigenständige politische Dynamik gewinnt. Warum wird also dieser strukturelle und historische Kontext ausgeblendet? Daß größere imperialistische Interventionskriege nach dem Ende des Kalten Krieges wieder zur Normalität werden und dies zu politischen Abnutzungserscheinungen in der Linken führt, ist die eine Seite. Die neunziger Jahre Linke bedient sich jedoch vielfach auch postmoderner Ansätze: Mit dem Ende der Sowjetunion schienen die großen Erklärungssysteme zusammengebrochen. Die Übernahme der Rede vom Ende der großen Theorien in der Auseinandersetzung mit orthodoxen marxistischen Ansätzen führte zwar dazu, die relative Autonomie ideologischer und politischer Elemente zu betonen. Dies beflügelte beispielsweise den Kampf gegen Identitätspolitik. Übertüncht wurde damit der zunehmende Verlust realer Interventionsfähigkeit übertüncht wurde.

In Zeiten des Krieges ist keine bunte Beliebigkeit möglich, sondern nur ein dafür oder dagegen. Ohne einen strukturanalytischen und parteiischen Zugang zum Imperialismus scheint aller Terror gleich, was er in seinen Auswirkungen ist, nicht jedoch in seiner Einordnung. Vielmehr schlägt nun bei vielen Linken die eigene Klassenlage durch. Als MetropolenbewohnerIn war mensch nicht nur schon einmal als TouristIn auf dem World Trade Center, auch ein Angriff auf den Potsdamer Platz scheint nicht mehr ausgeschlossen. Der stumme Zwang der Verhältnisse ist jedoch meist gewaltiger als es eine einzelne militante Bewegung seien könnte. Was ist beispielsweise mit der gegenwärtigen Hungersnot in Zentralamerika, die auf den Zerfall der Kaffeepreise auf dem Weltmarkt zurückgeht? Warum sollte den USA also das Recht eingeräumt werden, in eigener Sache zu intervenieren?

Dies ist auch nicht damit zu rechtfertigen, daß der Staat Israel in seiner Existenz bedroht sei. Dessen Politiker haben deutlich gemacht, daß sie sich einer grundsätzlichen Bedrohung mit Atomwaffen wehren würden und daß keine Atomwaffenkapazität arabischer Nachbarländer geduldet wird. Linke in Deutschland können – vor dem Hintergrund der Shoa –  am ehesten zur Existenz des Staates Israel und zur Sicherheit seiner BürgerInnen beitragen, indem sie sich gegen eine weitere militärische Eskalation wenden. Die gegenwärtige Politik der USA wertet  dagegen Staaten auf, die teilweise antisemitische Ziele verfolgen. Die von den USA und anderen verteidigte Freiheit des Kapitals ist wiederum ein Hauptmotor für den modernen Antisemitismus.

Bei dem positiven Blick auf die „Zivilität“ des Westens handelt es sich um eineunkritische Sichtweise. Wem gegenüber ist man liberal, gegenüber Flüchtlingen? Wo gibt es mehr bigotte Christen als in den USA? Wie weit reicht die bürgerliche Aufklärung in Anbetracht des allgegenwärtigen Rassismus? Unter welcher Ägide ist die Aneignung fremder Arbeit einschließlich der patriarchalen Arbeitsteilung zum scheinbar unhinterfragten System geworden? In welchem Land der Welt gibt es pro Kopf der Bevölkerung nach China die meisten Strafgefangenen und die meisten Hinrichtungen? Genauer betrachtet handelt es sich bei dem positiven Blick auf den Westen in Abgrenzung  zu islamisch geprägten Ländern um eine Variante des kolonialen Blickes. Dabei ist es eine offene Frage, inwieweit der Islamismus als Theologie und theokratisches System inhärent antisemitisch ist oder ob die anzutreffenden antisemitischen Strömungen primär durch die kapitalistische Vergesellschaftung hervorgerufen werden? Die Gleichsetzung von islamistischen Strömungen mit dem Faschismus verbietet sich überdies als gefährliche und ahistorische Relativierung. Weder kann islamistischen Bewegungen eine industrielle Massenvernichtung noch systematische Vernichtungskriege vorgeworfen werden. Vielmehr schimmert in diesen Konstrukten ein Vergleich mit der antifaschistischen Koalition der vierziger Jahre durch, welcher nicht gegeben ist.

Wenn weder zu Attentätern noch zu den Angegriffenen ein positiver Bezug hergestellt werden kann, dann bleibt nur eine Politik der negativen Dialektik. Diese weist für absehbare Zeit keine erreichbaren und positiven Ziele aus. Dies mag die Schwierigkeit aufwerfen, aus der gesellschaftlichen Defensive und Marginalisierung nur gegen etwas sein zu können. Doch linke Politik in den Metropolengesellschaften sollte sich zumindest gegen den imperialistischen Zusammenhang richten, welcher vorrangig die Dynamik bestimmt. Hier  eröffnen sich für Linke in Deutschland am ehesten Handlungsmöglichkeiten. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen einen positiven Bezug auf irgendeine Seite herzustellen oder sich neutral zu verhalten, wäre Ausdruck einer Selbstaufgabe emanzipativer Politik.

Konkret heißt dies, sich gegen die imperialistische Politik der Bundesrepublik zu wenden. Dadurch wird ausgeschlossen, in das Fahrwasser eines Antiamerikanismus zu geraten, der die BRD direkt oder indirekt in der innerimperialistischen Konkurrenz unterstützt. Außerdem wird gesellschaftlichen Momenten entgegengewirkt, die zum Nationalsozialismus geführt haben. Im Kampf gegen den hiesigen Imperialismus wird auch der allgemeine Imperialismus hinreichend negiert, da dieser nur als Weltsystem funktioniert. Die fortgesetzte innenpolitische Zuspitzung durch Rasterfahndung und Hatz auf Muslime, sowie der Versuch der Bundesregierung, sich mit einem unmittelbaren Bezug auf strategische Interessen an Militäreinsätzen zu beteiligen, macht die Intervention vor Ort sowieso erforderlich. Die konkrete Alternative ist weiterhin Sozialismus oder Barbarei.